Die Evangelische Kirchengemeinde Euskirchen hat einen Stolperstein für Paula Klinger gestiftet.
Paula Klinger wurde am 9. Februar 1919 in Euskirchen geboren. Dort lebte sie zusammen mit ihren Eltern und ihren drei Geschwistern in einem Haus in der Ursulinenstraße, wo ihr Vater Samuel Klinger ein Bekleidungsgeschäft betrieb.
Ihre Kindheit wurde geprägt durch die Folgen des Ersten Weltkriegs und das Inflationsjahr 1923. Als Jugendliche erlebte sie 1929 die weltweite Wirtschaftskrise und den Aufstieg der NSDAP bis zur Machtergreifung 1933. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler im Jahr 1933 wurden bis 1945 viele Millionen Menschen wegen ihres jüdischen Glaubens verfolgt. Sie wurden entrechtet, terrorisiert und angefeindet.

Die NSDAP-Führung versuchte die Juden durch Verordnungen zu entrechten und zur Emigration zu treiben und schürte dadurch den antisemitischen Terror weiter. Um diesen Terror zu kanalisieren, ließ Adolf Hitler 1935 auf dem Reichsparteitag der NSDAP eine gesetzliche Regelung ausarbeiten. Am 15. September wurden das “Reichsbürgergesetz” und das “Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre” verabschiedet. Diese sog. Nürnberger Gesetze stempelten die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger zu Menschen minderen Rechts ab.
Am 27. und 28. Oktober 1938 ließ das NS-Regime rund 17.000 im Deutschen Reich lebende Jüdinnen und Juden mit polnischer Staatsbürgerschaft verhaften, ausweisen und gewaltsam zur polnischen Grenze verbringen. Die Familie Klinger war polnisch-stämmig und hatte nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Am 28.10.1938 wurde Paula Klinger, ihr jüngerer Bruder Artur und ihre Eltern nach Bentschen/ Zbąszyń gebracht und dort interniert. Ihr Euskirchener Nachbar Isidor Mayer, mit dessen Familie die Klingers eine Freundschaft pflegten, beschreibt in einem Brief an seine Tochter den Abtransport der Familie: „Gestern Mittag fuhr ein großes Auto vor, und nachdem Klinger in aller Eile einige Sachen gepackt hatte, fuhr die ganze Familie weg. [ … ] Alle Wohnungen sind polizeilich versiegelt worden [ … ].“
Diese als „Polenaktion“ bezeichnete Zwangsausweisung war die erste Massendeportation aus dem Deutschen Reich. Die Verhaftung kam für die Betroffenen vollkommen überraschend. Sie durften nur wenige Habseligkeiten mitnehmen. In bewachten Sonderzügen transportierte die Reichsbahn sie anschließend an die deutsch-polnische Grenze.
Die meisten wurden zur Grenzstadt Neu-Bentschen/Zbaszyń gebracht, andere nach Konitz in Pommern oder Beuthen in Oberschlesien. Der erste Transport konnte die Grenze noch passieren, weil die polnischen Grenzbehörden völlig überrascht waren. Später verweigerten sie die Einreise. Die deutschen Polizisten und Wachleute trieben die ausgewiesenen Jüdinnen und Juden daraufhin zu Fuß über die Felder in das Niemandsland im Grenzbereich.
Die Bedingungen vor Ort in Zbąszyń waren vor allem in den ersten Tagen und Wochen katastrophal. Allmählich entstand ein Auffanglager mit Notunterkünften, in denen mehr als 8.000 Menschen teilweise monatelang festsaßen. Jüdische Hilfsorganisationen wie das American Joint Distribution Committee unterstützten sie. Dank ihrer Hilfe gelang es Hanna Klinger nach einer langen Fahrt durch Sowjetrussland, Persien und Saudi-Arabien in Palästina einzureisen und so der weiteren Verfolgung durch das Nazi-Regime zu entgehen.
Nach dem Krieg setzte sich Paula Klinger für ihre Familie ein und stellte einen sog. Wiedergutmachungsantrag. Mit dem Begriff Wiedergutmachung werden die Maßnahmen Deutschlands zusammengefasst, durch die Verfolgte des Nationalsozialismus materiell entschädigt wurden. Sie bedeuten jedoch nicht, dass erlittenes Leid durch die gewährten Leistungen abgegolten werden kann. So konnten die Familien entwendetes Eigentum zurückerhalten oder aber Entschädigungszahlungen und Unterstützungsmaßnahmen bekommen.

Das Haus der Familie in der Ursulinenstraße wurde durch einen Bombenangriff vollständig zerstört. Nach vielen bürokratischen Hindernissen, erhielten Paula Klinger und ihre ebenfalls geflohenen Geschwister eine finanzielle Entschädigung. Paulas Eltern Samuel und Sara kehrten nie wieder zurück. Sie wurden Opfer des Holocausts. Was genau mit ihnen geschah ist bisher nicht bekannt.